Glaube und Lernen 2/2015 – Themenheft: Fundamentalismus

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ISBN/EAN: 9783846998922
»Das ist vielleicht der Unterschied zwischen einem ernsten und tief frommen Menschen und einem Fundamentalisten. Der tiefe, fromme schaut drauf, dass er fromm ist; der Fundamentalist schaut drauf, dass der andere Jude fromm ist. Der tief-fromme Mensch hat eine gewisse Bescheidenheit und ein Lächeln und der Fundamentalist glaubt nicht, sondern er weiß alles. Wenn er alles weiß, um zu glauben, dann fehlt ihm jeder Humor.«¹ Das ist eine einfache und zugleich treffende Beschreibung von (religiösem) Fundamentalismus. In der unübersichtlichen Gegenwart, in der Fundamentalismen offenbar gedeihen, Fundamentalismusvorwürfe aber auch vorschnell und in verschiedenen Richtungen erhoben werden, reicht die knappe Beschreibung freilich nicht aus. Das vorliegende Heft geht dem Phänomen des Fundamentalismus deshalb aus verschiedenen Perspektiven genauer nach. Im einleitenden Artikel diskutiert Martin Rothgangel unter Rückgriff auf die Wurzeln des Begriffs im US-amerikanischen Protestantismus verschiedene Bedeutungen von religiösem Fundamentalismus und zeigt charakteristische Gemeinsamkeiten auf, wobei er besonders auf die Irrtumslosigkeit der Schrift eingeht. Er stellt theologische Herausforderungen des Fundamentalismus dar und entwickelt Vorstellungen, wie im Bildungsbereich mit diesen Herausforderungen umgegangen werden kann. Lars Klinnert geht der Frage nach, ob Evangelikale Fundamentalisten sind. Sie schauen – in Anlehnung an das Zitat von Eisenberg – tatsächlich darauf, dass sie fromm sind. Übersteigerter Heils- und Offenbarungsexklusivismus kann problematisch werden, wenn er die religiösen Grundrechte anderer in Frage stellt. Aber Frömmigkeit ist nicht gleich Fundamentalismus, weshalb nach Klinnert vor einem überzogenen und vorschnellen Fundamentalismusvorwurf zu warnen ist. Ernstpeter Maurer stellt die produktive Balance zwischen Glaubensgrundsätzen, biblischen Erzählungen und aktuellen Erfahrungen heraus, die in ihrer wechselseitigen Beziehung theologisches Denken und Reden charakterisieren. Wahrheit kann deshalb in theologischer Perspektive nicht im Sinne der herkömmlichen Korrespondenztheorie verstanden werden, sondern eröffnen Spiel- und Verständigungsraum. Die Glaubensgrundsätze sind deshalb aus sich heraus ebenso anti-fundamentalistisch wie die biblischen Texte gerade nicht »biblizistisch« oder verbal-inspiratorisch verstanden sein wollen. Zu beachten ist aber, dass eine kurzschlüssige Verknüpfung biblische Texte mit aktueller Erfahrung die Tiefe des christlichen Glaubens nicht ausschöpfen kann. Im »Gespräch zwischen den Disziplinen« geht Heinrich Wilhelm Schäfer von einem formalen Fundamentalismusbegriff aus, der nicht nur religiös, sondern auch säkular grundiert sein kann und der in seiner technokratisch-instrumentellen Form der westlichen Moderne hohes fundamentalistisches Potenzial aufweist. Ein gemeinsames Merkmal religiöser und säkularer Fundamentalismen ist, dass sie Interessenskonflikte in Identitätskonflikte umdeuten. Wird z.B. ökonomisches Interesse als Identität gedeutet, kann daraus ein global-ökonomischer Fundamentalismus werden, der religiöse Züge trägt, ohne eine Religion zu brauchen. Schäfer zeigt, dass die globale Gerechtigkeitsfrage auf verschiedene Weise als Hintergrund jeder fundamentalistischen Spielart sichtbar gemacht werden kann. Andreas Goetze versteht die Lesung des Korans als »Wahrnehmungsereignis«, das der Interpretation offensteht – im Gegenüber zu einem Verständnis des Korans, das die endgültige Wahrheit als fest definiert versteht. Goetze stellt dar, wie sich das letztere, dem Koran selbst fremde Verständnis in der islamischen Geschichte bis hin zu den Salafisten moderner Prägung entwickelt hat. So wie jede religiöse Erkenntnis wandelbar ist, kann es jedoch das eine, für alle Zeiten gültigen Verständnis des Islams nicht geben. Zwar hat Gott nach islamischer Überzeugung mit Muhammad den letzten Propheten geschickt, nicht aber die letzte Interpretation von Gottes Wort. Michael Meyer-Blank legt in seinem Beitrag dar, dass ein kritischer Zugang zu den Fundamentalia der (christlichen) Religion und eine fundamentale Theorie zur Realität und Wirkungsweise der eigenen Religion (Fundamentaltheologie) die besten Mittel sind, um vor dem Irrweg des Fundamentalismus zu bewahren. »Aufgeklärte Gewissheit« versteht er als Leitbild religiöser Bildung. Dadurch verliert auch die Rede von Gott ihren apodiktischen Klang. Wer von Gott und zugleich von sich selbst redet, übernimmt Verantwortung für seine eigene Religiosität und ist bereit, diese der Rückfrage und dem Gespräch auszusetzen. Matthias Roser zeigt in einem ausführlichen Überblick die zentralen Aspekte des »Fundamentalismus-Projekts« der American Academy of Arts and Sciences auf. (Aus dem Inhalt von Peter Müller) ¹Paul Chaim Eisenberg, Oberrabbiner der israelitischen Kultusgemeinde in Wien, https: /www.missio.at/fileadmin/media_data/xx/produkte/zeitschriften/missiothek/1501/Abeitsblatt_Zitate_zum_Thema_Fundamentalismus.pdf (am 20.8.2016).

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